Faktencheck zum Bierdeckel "Die Ausländer nehmen uns im
Rheingau die Arbeitsplätze weg"
Die Stammtischparole, dass ausländische Arbeitskräfte
Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen, hält einer
sachlichen Überprüfung nicht stand. Hier finden Sie fundierte
Fakten und weiterführende Informationen, die diese Behauptung
entkräften.
Die Realität auf dem Arbeitsmarkt
Eine Analyse der aktuellen Beschäftigungsstatistiken zeigt,
dass ausländische
Arbeitskräfte einen bedeutenden Beitrag zur Stabilisierung des
Arbeitsmarktes leisten. Laut der Bundesagentur
für Arbeit machen ausländische Beschäftigte 15 Prozent
aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in
Deutschland aus. Gerade in Branchen mit akutem
Fachkräftemangel, wie dem Gesundheitswesen oder der Pflege,
übernehmen Migranten oft wichtige Aufgaben.
Die
Tagesschau beleuchtet im Artikel „In vielen Jobs läuft
nichts ohne Zuwanderer“ (01.03.2024), wie Zuwanderer dem
Fachkräftemangel entgegenwirken. Arbeitgeber bestätigen, dass
viele Stellen ohne
ausländische Fachkräfte unbesetzt bleiben
würden. Vor allem in Reinigungsberufen und in der Gastronomie
seien sie stark vertreten, wie Zahlen des Statistischen
Bundesamts belegen. Etwa 25% aller Erwerbstätigen haben eine
Einwanderungsgeschichte, in der Altenpflege sogar 30%. Aufgrund
des demografischen Wandels sei Deutschland in vielen
Berufsfeldern auf Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland
angewiesen.
Auch der
Paritätische Gesamtverband widerlegte 2017 das Vorurteil
„Zugewanderte nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Der deutsche
Arbeitsmarkt sei auf
Zuwanderung angewiesen, ein Rückgang des
Arbeitsangebots bedeute nicht automatisch eine sinkende
Arbeitslosigkeit und Zuwanderung hatte bereits in der
Vergangenheit positive Effekte für deutsche Arbeitnehmer/innen.
Zusammenfassend fände „eine Konkurrenz um einzelne
Arbeitsplätze […] – wenn überhaupt –zwischen geflüchteten
Zuwanderern und bereits in Deutschland lebenden Ausländern“
statt.
Diese Entwicklungen sind auch im Rheingau deutlich spürbar.
Stimmen aus dem Rheingau
Verschiedene Unternehmen und Kommunen im Rheingau
unterstreichen diese Erkenntnisse, wie uns auf Anfrage
mitgeteilt wurde:
-
Vitos
Rheingau, einer der größten Arbeitgeber der
Region, beschäftigt Mitarbeitende aus 37 Nationen. Der
Anteil an Beschäftigten ohne deutsche Staatsbürgerschaft
liegt bei 9 Prozent. Besonders in der Pflege konnten durch
die gezielte Rekrutierung aus dem Ausland Lücken gefüllt
werden. Dies wird als Bereicherung für die Organisation
gesehen, da Diversität Innovation und interkulturelles
Lernen fördert. Durch die Beschäftigung ausländischer
Arbeitskräfte erfährt das Unternehmen darüber hinaus
wichtige Impulse, von denen alle Beschäftigten profitieren:
„Ganz nebenbei wird hierdurch die interkulturelle und
soziale Kompetenz unserer Beschäftigten gestärkt sowie
Offenheit, Verständnis und Wertschätzung füreinander
gefördert“, so das Unternehmen gegenüber dem BDV Rheingau.
- In der Kommune
Walluf beträgt der Anteil ausländischer
Mitarbeitender 10 Prozent. Bürgermeister Niko Stavridis hebt
hervor, dass kulturelle Vielfalt das Arbeitsumfeld bereichert.
Offene Stellen gibt es vor allem in hochqualifizierten
Bereichen wie im Bauingenieurwesen.
- In der Kommune
Oestrich-Winkel beträgt der Anteil
ausländischer Mitarbeitender gut 10 Prozent. Besonders im
Bereich Soziales, Erziehung und hochqualifizierter Stellen
(Bauen, Ingenieurwesen) gibt es Probleme, offene Stellen zu
besetzen. „Ich kann aber guten Gewissens sagen, dass bei uns
keine ausländische Person einem Deutschen den Job wegnimmt“, so
Carsten Sinß, Bürgermeister von Oestrich-Winkel.
- Auch Christian Aßmann, Bürgermeister der Kommune Geisenheim
hält fest, dass „die Parole ‚Die Ausländer nehmen und im
Rheingau die Arbeitsplätze weg‘ so nicht wahrzunehmen ist.“ Als
Unterzeichnerin der „Charta der Vielfalt“ fördert die Stadt
aktiv ein inklusives Arbeitsumfeld. Fachkräftemangel wird als
großes Problem beschrieben, es konnten keine negativen
Auswirkungen durch die Beschäftigung ausländischer
Arbeitskräfte festgestellt werden.
- Auch in der Stadt
Rüdesheim am Rhein ist man für jede
Arbeitskraft dankbar: Der allgemeine Arbeitskräftemangel,
insbesondere im Gastgewerbe und der Verwaltung, wurde als
zentrales Problem genannt. Hier fehlt es nicht nur an Fach-,
sondern auch an Aushilfskräften. Bürgermeister Klaus Zapp
beschreibt treffend „Es gibt aktuell nicht nur einen
Fachkräftemangel, sondern vielmehr einen ganz allgemeinen
Arbeitskräftemangel.“
- Arno Geiger vom Obstgut auf der Heide
bringt es auf den Punkt: „Ohne unsere ausländischen
Erntehelfer/innen könnten wir mit unserem Obstanbau aufhören.“
So wie ihm geht es vielen Winzer/innen im Rheingau.
- Der Personalleiter eines der
größten industriellen Arbeitgeber
im Rheingau – einem Unternehmen, bei dem jede:r vierte
Beschäftigte keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt –
beschreibt den Arbeitsmarkt im Rheingau ebenfalls als
angespannt. Er sei „überzeugt davon, dass viele Stellen im
Unternehmen unbesetzt blieben“, wenn ausschließlich
Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft beschäftigt
werden würden – und das sowohl in der IT als auch der
Produktion, Instandhaltung und Entwicklung.
- Im Sankt
Vincenzstift arbeiten etwa 15% Mitarbeitende
anderer Nationalitäten. An der angegliederten Schule für
Heilerziehungspfleger:innen kommen sogar 19 von 70 Studierenden
aus anderen Ländern. Durch die kulturelle Vielfalt stellt das
Unternehmen grundsätzlich positive Veränderungen fest, bemerkt
jedoch auch, dass die Integration von Menschen anderer Herkunft
„kein Selbstläufer“ sei und „hohes Engagement von allen
Beteiligten“ erfordere. Den Rheingauer Arbeitsmarkt sieht das
Sankt Vincenzstift als sehr angespannt, selbst habe es
besonders im pädagogischen Bereich Schwierigkeiten, offene
Stellen zu besetzen.
Weiterführende Informationen